Gedanken zur MAUS: Rückblick und Dank
Dr. Peter Ulrich
I
1999 feierte die MAUS, Gesellschaft für Familienforschung e. V., Bremen, ihr 75jähriges Bestehen. Nun begeht sie im Jahr 2014 ihren 90jährigen Geburtstag. Grund genug, auf dem Weg zum 100jährigen Jubiläum einzuhalten und zu fragen: Was hat sich innerhalb der letzten fünfzehn Jahre in der MAUS ereignet?
Die MAUS ist ein Verein. Sie nennt sich zwar Gesellschaft für Familienforschung, ist aber der Rechtslage nach ein Verein. Was ist ihr Ziel? Sie lädt Menschen ein, Familienforschung zu betreiben. So führt die MAUS Personen unterschiedlicher Art zusammen. Ihr gemeinsames Anliegen ist die Freude an der Genealogie. Die macht süchtig. Insofern sind viele Mäuse süchtig geworden, und wer es einmal ist, bleibt es. Es ist die Sehnsucht, die eigenen Vorfahren oder die anderer Leute kennenzulernen. Es ist die Begeisterung, in Archiven fündig zu werden, den lange gesuchten Namen plötzlich zu finden und Zusammenhänge zu erkennen. Wer dies nicht irgendwann einmal erfahren hat, wird es kaum nachempfinden.
Der Begriff Verein impliziert Geselligkeit. Wer der MAUS beitritt, sucht Gleichgesinnte. Er sucht keine Leidensgenossen, wohl aber Mitkämpfer – Menschen, die sich wie er oder sie in die Familiengeschichte hineinwühlen und das Gespräch mit den Vorfahren suchen. Deswegen verstehen Mäuse sich meistens untereinander. Die MAUS ist – obwohl unsere Gesellschaft in den letzten fünfzehn Jahren rapide gewachsen ist – hintergründig eine verschworene Gemeinschaft. Keine Sorge, man kann in ihr Nähe und Distanz selber bestimmen. Keiner wird gedrungen.
Nun, auch in einem Verein menschelt es zuweilen. Das war immer so, und es wird immer so bleiben. Ich bin bereits als Gymnasiast in die MAUS eingetreten. Da saßen uralte Leute, wie ich damals fand. Heute sage ich: So alt waren sie eigentlich nicht … Ab und zu menschelte es auch zwischen ihnen. Man schüttelte hin und wieder den Kopf über den andern. Dann sagte der eine zum anderen vorsichtig: „Haben Sie das verstanden, was XY eben meinte?“ Und unausgesprochen schwang dabei mit: „Er ist ja manchmal merkwürdig!“ Der Umgang blieb stets höflich. Er ist mir bis heute ein Vorbild. Dankbar erinnere ich mich solcher Persönlichkeiten. Weder zählten Herkunft, Bildung, Politik, religiöse Einstellung oder Lebensstil – es ging grundsätzlich um die Sache. Man übte um der Sache willen Disziplin – eben Mäusedisziplin.
Manches war absolut skurril, wie ja überhaupt Mäuse manchmal skurril sind. Ja, wer schlägt sich schon die Nacht um sie Ohren, nur weil man nicht einschlafen kann und fortwährend überlegt: Ist es nun der Vater oder der Bruder oder der Vetter oder doch der Großvater? Wer stürzt schon nachts an den Computer und sieht die Unterlagen noch einmal durch, derweil es draußen zu tagen beginnt? Das tun nur die von der Sehnsucht Getriebenen! Genealogie ist Sehnsucht. Sie öffnet das Herz und lässt es pochen.
Natürlich kann es auch schwierig werden. Wie ist das, wenn sich zwei Mäuse begegnen und die eine der anderen ihre goldenen Ergebnisse vorträgt, diese aber gar nicht hinhört, weil sie wiederum ihre Goldkörner loswerden möchte?
Nun, in den letzten Jahren hat es auch in der MAUS zweimal richtig gemenschelt. Das soll nicht verschwiegen werden, blicken wir zurück. Es blieb leider nicht immer im Skurrilen, wie es die Damen und Herren früher vermochten. Wer aber wollte, konnte daraus lernen. Lernen, Menschen kennenzulernen – kann auch Schmerzen bereiten, für einen selber, aber auch für die anderen. So wie man sich selber eingestehen muss: Ich habe anderen ebenfalls Schmerzen bereitet. Dennoch verließen uns einige. Andere legten eine Pause ein. Wiederum andere packten an, stellten sich den drängenden Fragen. Vor allem: Guter Wille war und ist weiter angesagt. In allen Diskussionen kommt es auf den Ton an. Die MAUS hat es durchgestanden. Dafür gebührt den friedfertigen Brückenbauern großer Dank. Noch einmal: Wer wollte, konnte für sein Leben lernen.
II
Ein Verein besteht aus den Mitgliedern und dem Vorstand. Der Vorstand wird gewählt. Das gibt ihm Halt und Vertrauen. Denn ohne Vertrauen kann kein Vorstand bestehen, und ohne Vertrauen zum Vorstand schaffen es die Mitglieder alleine auch nicht.
Gerne denke ich als ehemaliger Vorsitzender an meine Vorgänger und meine Nachfolger im Amt, Dr. Günther Thaden, Dr. Wolfgang Bonorden vor mir und Rudolf Voss nach mir sowie zur Zeit Rolf Masemann. Jeder ist anders – wie positiv für einen Verein, dass es verschiedene Handschriften gibt. Es gilt, die Mäuse zusammenzuhalten, sie zu inspirieren, sich aber ebenso selber mitnehmen zu lassen. Es gilt, Verbindungen in die Stadt zu halten, Besuche zu manchen, zu bitten, wenn nötig, und das stets im Dienst der Sache und der Menschen. Keiner kommt so ganz ungeschoren davon, auch ein ganzer Vorstand nicht. Dann helfen manchmal nur Humor und die Gabe, großzügig zu sein. Aber dasselbe sollten die anderen Mäuse ebenfalls mitbringen.
Die MAUS ist von 1999 bis 2014 über die Hälfte gewachsen. Das ist schon etwas! Wenn das die älteren Damen und Herren von damals wüssten. Fast 1000 Mitglieder! Denn unvorstellbar für die Damaligen hielt das Computerzeitalter seinen Einzug. Erstellte man früher Zettelkästen und legte man Akten an, so nicht mehr im digitalen Zeitalter. Die Mitglieder sitzen nun überall in der Welt. Entfernungen spielen keine Rolle mehr. Man muss die Räume der MAUS nicht mehr betreten, um Futter zu erhalten. Aber dabei bleibt auch mancher Kontakt auf der Strecke.
Heute fertigt die fleißige ehrenamtliche MAUS Dateien an, lädt herunter und kann überall auf der Welt in der Mailing-List mitmachen – das hat schon was! Die Gesellschaft lebt von ihren Mitgliedern, die ehrenamtlich, meistens stillschweigend und hilfsbereit Informationen weitergeben, die vernetzen, Ideen entwickeln, Zeit investieren und einfach nur da sind. Ohne sie und ihren guten Willen ginge das alles gar nicht. Danke, kann man da nur rufen! Danke!
Neben den Einzelmäusen gibt es verschiedene Mäusegruppen. Sie alle haben ein unvorstellbar reiches genealogisches Wissen zusammengetragen. Sie tun dies ebenfalls ehrenamtlich für den Verein und stellen ihre Dateien zur Verfügung. Astronomische Zahlen sind bisher erreicht worden, und ein Ende ist nicht abzusehen. Man werfe nur einen Blick auf die Homepage des Vereins. Da wird der Suchende schnell fündig. Aber Vorsicht: Da kann man sich auch schnell fest lesen. Klick – klick – klick …
Natürlich haben auch Nichtmitglieder von außerhalb Zugänge zu bestimmten Dateien. Es macht auch den Mäusen wie den Mitgliedern anderer genealogischer Vereine große Freude, ihr Wissen weiterzugeben, anderen zu helfen und für sie da zu sein. Und wer nach Bremen kommt, wird wie ehedem am Dienstagmorgen und am Donnerstagnachmittag fachkundig beraten. Aber bitte nicht vergessen, sich in das Anwesenheitsbuch einzutragen! Auch kann man postalisch oder per E-Mail Anfragen stellen: Die MAUS beantwortet sie rasch und fachkundig. Das geht oft genug nur deswegen, weil man schnell und praktisch auf die Grauen Mappen zurückgreifen kann: stets aufgeräumt und neu geordnet, wie die reichhaltige genealogische Literatur, welche die MAUS im Laufe von Jahrzehnten hat ansammeln können. Ja, wer träumt nicht irgendwann davon, abends einmal in der MAUS eingeschlossen zu werden, eine Thermoskanne Tee dabei zu haben und ganz in Ruhe einmal zu stöbern, zu lesen und die Abschriften der Kirchenbücher auszuwerten? Natürlich, die Computer sind auch da, und sie arbeiten bestimmt in manchem schneller. Aber ersetzen sie das genealogische Fachbuch wirklich?
Dennoch: Mäuse blicken nicht nur zurück. Sie sind ihrer Zeit verhaftet, und die meisten von ihnen sind zudem entweder PC-Spezialisten oder zumindest Kenner auf diesem Gebiet. Es ist dankenswert, mit welchem persönlichen Einsatz unsere Homepage erstellt wurde. Es ist großartig, was der Suchende dort alles findet: neben der interessanten Vereinsgeschichte und den heutigen Strukturen und Verantwortlichen die verschiedenen Projekte und Aktivitäten als da sind Auswanderung, Online-Datenbanken, die VERDENer Familienforscher, die Veranstaltungen, die Volkshochschulkurse, die Bücherei und der Büchertisch. Hinter allen Bereichen steckt eine unglaubliche Arbeit!! Es ist ebenso lohnenswert, in die verschiedenen Publikationen der MAUS zu schauen: die „Blätter der MAUS“, die „Zeitschrift für niederdeutsche Familienkunde“, „Über Bremen in die Welt“, die letzte Festschrift der MAUS zu ihrem 75jährigen Bestehen, die über die Vereinsgeschichte informiert.
Sehr zu danken haben wir auch den hauptamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die im Zuge von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen viele Jahre im Raum der MAUS zugebracht haben. Sie schrieben Kirchenbücher ab, erstellten genealogische Listen und waren ebenso für Besucher da. Sie wussten fachlich und technisch Bescheid und haben das abrufbare Wissen der MAUS enorm vermehrt.
Im Übrigen hört sich die Mäuse-Familie im Winterhalbjahr eisern genealogische Vorträge an, trifft sich gerne zum Stammtisch und sucht das Gespräch. Sie geht auf Exkursionen und besucht andere Vereine. Sie lädt zu offenen Tagen ein und steht dem Staatsarchiv in vielem zur Seite. Dankbar weiß sie sich seit den Tagen von Archivdirektor Dr. Karl-Heinz Schwebel dort zu Hause. Denn zwischen MAUS und Staatsarchiv besteht eine fruchtbare Zusammenarbeit. Und es ist segensreich, von der MAUS in das Archiv zu gehen und umgekehrt. Wo findet man das so schnell?
Nicht vergessen werden sollte schließlich ihre Mitgliedschaft in der „Wittheit zu Bremen“. Sie weist die MAUS als eine wissenschaftliche Gesellschaft aus, die in der bremischen Geschichtsforschung ihre Rolle spielt. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie sich mit anderen historischen Vereinen und Gesellschaften zusammen tut und gemeinsame Projekte fördert wie z. B. den Bremer Heimatpreis, der jährlich ausgelobt wird.
III
Die MAUS ist der mitgliederstärkste genealogische Verein in Norddeutschland. Das macht uns stolz, aber nach bremischer Art lassen wir es uns nicht anmerken. Es gab viel zu tun, es gibt viel zu tun, und es wird viel zu tun geben. Es gibt Höhepunkte im Mäuseleben, aber auch den grauen Mäusealltag. Ein Verein bemisst sich schließlich auch gar nicht nach der Zahl seiner Mitglieder, sondern nach ihrem vielfältigen Engagement. Es kommt auf den gemeinschaftlichen Geist an. Nein, ich will hier kein Mäuseparadies zeichnen, sicher nicht!
Aber eines wünsche ich uns Mäusen für die nächsten zehn Jahre bis zum hundertsten Geburtstag – neben allen Aktivitäten: Gelassenheit, Fröhlichkeit und Milde. Zwar sagt Goethe: „Im Alter nur nicht milde werden!“ Aber Milde mit sich und anderen tut gut und ist sicher nachhaltig. Insofern dürfen wir hier Goethe einmal nicht folgen. Ein Vorletztes: Dank, viel Dank an all diejenigen, die sich engagiert einbringen, die Zeit und Kraft für die MAUS opfern. Das ist vorbildlich. Ein Letztes: Familienforschung soll Spaß machen dürfen. Das lasse ich mir nicht nehmen. Denn ich bin stolz, der MAUS anzugehören.