75 Jahre Die MAUS

von Dr. Günther Thaden
anlässlich des 75 jährigen Bestehens der MAUS (1999)

Wie kam es eigentlich dazu, daß am 20. März 1924 unsere Bremer Familienforschungsgesellschaft gegründet wurde, waren doch die Zeitverhältnisse damals wahrlich nicht dazu angetan. Nachwirkungen des verlorenen Krieges waren noch spürbar, eine alles wirtschaftliche Leben lahmlegende Inflation war erst vier Monate vorher zu Ende gegangen, verständlich, daß ein im Sommer 1923 unternommener erster Gründungsversuch ergebnislos verlief. Immerhin war aber, daß diese erste Fühlungnahme in dem "Mausefalle" benannten kleinen Raum des heutigen "Deutschen Hauses" am Markt stattfand, maßgebend dafür, daß man unserer Gesellschaft bei der Gründung den Namen MAUS gab.

Gustav Wehner

Daß der zweite Gründungsversuch glückte, war vor allem zwei damals in Bremen lebenden Familiengeschichtlern von Rang zu verdanken, die sich nicht hatten entmutigen lassen: Gustav Wehner, Fregattenkapitän a. D., schon seit 1911 Mitglied des in Bezug auf Familien- und Wappenkunde in Deutschland maßgebenden Vereins HEROLD in Berlin, und Johann Ueltzen, Ingenieur a. D., Mitbegründer und 1907 und 1908 Hauptgeschäftsführer der 1904 ins Leben gerufenen Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte in Leipzig.
Man geht nach der Gründung sogleich mit Eifer an die Arbeit, trifft sich zu monatlichen Sitzungen, wirbt mit kleinen Aufsätzen in den Tageszeitungen und veranstaltet Mitglieder- und Gästeabende mit einführenden und anderen Fachvorträgen, sorgt aber auch dafür, daß die MAUS in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt, knüpft Verbindungen an zum Focke-Museum und zur Historischen Gesellschaft sowie zur Hamburger Genealogischen Gesellschaft und tritt dem Deutschen Geschichts- und Altertumsverein sowie der soeben gegründeten Arbeitsgemeinschaft der deutschen familien- und wappenkundlichen Vereine bei.

Johann Ueltzen
Alfred Gildemeister

So überschreitet die Mitgliederzahl schon im ersten Jahr "das erste halbe Hundert" und kann Gustav Wehner, nun als Vorsitzender, mit berechtigtem Stolz feststellen: "Wir waren bei der Gründung ganze sechs Mann, doch hatten wir die felsenfeste Überzeugung, es werde schon gehen. Der Erfolg hat uns recht gegeben." Als Wehner schon im Jahr darauf einem Ruf als Berater der türkischen Marine nach Konstantinopel folgt, vertritt Ueltzen ihn zunächst und wird 1934 selbst Vorsitzender. Schatzmeister ist von Anfang an und bleibt viele Jahre der Kaufmann Alfred Gildemeister.

Schon seit 1925 gibt die MAUS sogar eine eigene Fachzeitschrift Blätter der MAUS heraus, von der in zwangloser Folge zehn nicht sehr umfang-, aber inhaltreiche Hefte erscheinen, das letzte 1935. Ihm folgen 1938 und 1939, ebenfalls von der "Maus" herausgegeben, zwei Hefte einer danach nicht fortgesetzten Zeitschrift "Sippenforschung in Nordwest-Deutschland".

Das hier abgedruckte Bild von Johann Ueltzen wurde nachträglich eingefügt. In der Festschrift ist an der Stelle irrtümlich ein Bild seines Bruders Max Wilhelm. (Anm. d. Red.)

Unterdessen hatte längst schon die NS-Zeit begonnen und wird die MAUS wie alle anderen deutschen genealogischen Vereine wegen des damals von Beamten, Lehrern und Offizieren zu erbringenden sogenannten "Nachweises der arischen Abstammung" mit familiengeschichtlichen Auskunfts- und Forschungsersuchen überhäuft. Eine Geschäftsstelle mit einer Leiterin muß eingerichtet werden, Räume hierfür stellt der bremische Staat im Hause Martinistraße 7 zur Verfügung.

Ebenfalls wie alle anderen deutschen genealogischen Vereine entgeht auch unsere Gesellschaft nicht der "Gleichschaltung", wie man es damals nannte, sie wird dem "Volksbund der deutschen sippenkundlichen Vereine (V. S. V.)", einer NS-Organisation, eingegliedert und hat mit Wirkung vom 21.8.1937 einen vom Volksbund bestätigten Leiter. Die MAUS dankt Johann Ueltzen, ihrem unermüdlich fleißigen Mitgründer, der seinen Platz als Vorsitzender räumen muß, für seine verdienstvolle Tätigkeit, indem sie ihn zum Ehrenmitglied ernennt.

Die Amtszeit des Leiters ist zeitlich unbeschränkt, doch kann er jederzeit, Bestätigung vorausgesetzt, seinen Nachfolger bestimmen, und er bestimmt mit Wirkung bereits ab Jahresbeginn 1939 den Direktor des Staatsarchivs Dr. Friedrich Prüser als seinen Nachfolger.

Es ist sicher das Beste, was unserer Gesellschaft damals geschehen konnte, aber wohl auch das einzig Vernünftige, denn Johann Ueltzen war unterdessen gestorben und die Geschäftsstelle, zweimal von Bomben getroffen, beim nahen Staatsarchiv untergekommen. Als 1944 auch das Archivgebäude zerstört wird, kann die MAUS ihre Bücherei und ihre familiengeschichtliche Sammlung, die erhalten geblieben sind, mit in dem dem Archiv zur Verfügung stehenden Hochbunker am Dobben unterbringen, behelfsmßig, aber doch benutzbar.

Im folgenden Jahr enden NS-Zeit und Krieg und im Juli 1947 auch die letzten besatzungsrechtlichen Beschränkungen. Die MAUS ist wieder frei, doch ist von ihr nicht viel übrig geblieben. Ein kleiner Kreis von Mitgliedern trifft sich gelegentlich in privaten Räumen. Immerhin findet im August 1947 eine Mitgliederversammlung statt, und Alfred Gildemeister, einer der beiden noch lebenden Gründer, wird zum Vorsitzenden gewählt. 21 Jahre war er Schatzmeister, die letzten acht davon zugleich stellvertretender Vorsitzender. Als er vier Jahre später sein Amt abgibt, bedankt sich die MAUS bei ihm für seine Treue, indem sie auch ihn zum Ehrenmitglied ernennt.

Auf dem Platz des Vorsitzenden folgt ihm der Erste und nun zugleich Letzte der Gründer, Gustav Wehner, der nach Bremen zurückgekehrt ist. Nach Kriegsdienst und Beförderung zum Kapitän zur See hatte er in Berlin gelebt, war dort zehn Jahre lang Vorsitzender des Vereins HEROLD, der ihn ebenso wie die Zentralstelle in Leipzig zum Ehrenmitglied ernannte. Bis zu seinem Tode im Januar 1958 mit 80 Jahren ist er nun wieder für die MAUS tätig.

Mit Wehners Tod endet für unsere Gesellschaft die Zeit ihrer immer wieder für sie zur Verfügung stehenden Gründer, und es hätte durchaus sehr schwierig werden können, das Fortbestehen der MAUS auf Dauer zu sichern, wenn ihr nicht wieder der Direktor des Staatsarchivs, nun ist es Dr. Karl Heinz Schwebel, selbst genealogisch interessiert, zur Seite gestanden hätte. Er nimmt sie auch persönlich als Vorsitzender in seine Obhut.

Für ihre Mitglieder und um die MAUS in der Öffentlichkeit wieder in Erinnerung zu bringen, veranstaltet Dr. Schwebel alsbald eine Reihe von Vorträgen namhafter Fachleute von Bremen und von auswärts. Mit der häufig im Archiv arbeitenden Heimatgeschichtlerin Hanna Lampe gewinnt er nicht nur ein neues Mitglied, sondern auch eine eifrige Mitarbeiterin, die schon bald eine Namenskartei zur familiengeschichtlichen Sammlung der MAUS in Angriff nimmt, und als im Jahre 1968 im Fedelhören ein neues Dienstgebäude für das Archiv fertig wird, veranlaßt Dr. Schwebel, daß die Bücherei der MAUS und ihre familiengeschichtliche Sammlung mit im Raum der familiengeschichtlichen Abteilung des Archivs untergebracht werden, um so deren gemeinsame Benutzung für die Dauer zu gewährleisten.

Als Dr. Schwebel nach fünf Jahren den Vorsitz abgibt, entläßt er die MAUS damit nicht auch aus der Obhut des Staatsarchivs, sondern sorgt dafür, daß weiterhin Archivbeamte den Vorsitz übernehmen. So ist nun alles in bester Ordnung. Die Mitglieder erhalten zudem die von der MAUS mit herausgegebene Zeitschrift "Norddeutsche Familienkunde" mit einer Suchanzeigenbeilage.

Frau Lampe trifft sich jeden Dienstag mit einigen Damen aus dem Mitgliederkreis zur Arbeit an der großen Namenkartei, ist jeden Donnerstag zur Sprechstunde zur Stelle, jedem gern mit Auskunft und Rat in familiengeschichtlichen Angelegenheiten helfend, und bearbeitet außerdem noch alle schriftlichen Auskunftsersuchen.

Alljährlich finden mindestens zwei Vortragsabende statt, und um den Mitgliedern Gelegenheit zum Austausch von Forschungsergebnissen und -erfahrungen zu geben, werden schließlich abendliche Zusammenkünfte, "genealogische Abende", hierfür veranstaltet mit Berichten und kleinen Vorträgen von Mitgliedern. Sie finden bald zunehmend Zuspruch.

Mit dem Jahr 1974 naht für unsere Gesellschaft ein besonderes Ereignis, vollendet sie doch das zweite Vierteljahrhundert ihres Bestehens. Als 1949 das erste zu Ende ging, mußte sie noch um ihr Fortbestehen bangen und war niemandem nach Feiern zumute, aber diesmal sollte der Jubiläumstag nicht unbeachtet bleiben. Rund 180 Mitglieder und geladene Gäste finden sich ein zu Begrüßungsabend, sonntäglicher Feierstunde und Ausklang. Den Mittelpunkt der Feierstunde in der festlich geschmückten Halle des Staatsarchivs bildet die viel beachtete und dann auch gedruckt erschienene Festrede von Dr. Schwebel über die Entwicklung der Genealogie "Vom Ahnenkult zur Wissenschaft". Das zu dieser Zeit gelieferte Heft der "Norddeutschen Familienkunde", verstärkt und nur Bremer Beiträge enthaltend, ist der MAUS als Festschrift gewidmet. Die Mitgliederzahl hat nun die 120 überschritten.

In der Folgezeit gehören neben zwei Vortragsabenden und einem Halbtagesausflug zu familiengeschichtlich bemerkenswerten Zielen in der näheren oder weiteren Umgebung vor allem die genealogischen Abende zu den regelmäßigen Veranstaltungen, und gelegentlich finden zum gleichen Zweck "Unterweser-Unterelbe-Treffen" mit Familiengeschichtlern aus Hamburg und Bremerhaven statt. Immer kommen auch unter Frau Lampes Leitung die "Dienstags-Damen" zusammen, fleißig und wie diese selbst mit Lust und Liebe bei der Sache. Nicht minder wichtige Arbeit leistet allvormittäglich Dr. Heinrich von Spreckelsen, der neue Bücherwart, der nicht nur die Bücherei bestens betreut, sondern sich Buch für Buch vornimmt, Familien- und Ortsnamen in Karteien verzeichnet und so die Benutzung der Bücherei wesentlich erleichtert.

Drei besondere Ereignisse aus dieser Zeit sind noch zu erwähnen, das erste: Am 20. Oktober 1977, Frau Lampes 80. Geburtstag, ernennt die MAUS sie in einer schlichten Feier zum Ehrenmitglied, damit ihre fast zwanzigjährige verdienstvolle Tätigkeit dankbar würdigend. 

Auch das zweite besondere Ereignis betrifft Frau Lampe: Schon vor ihrer Bekanntschaft mit der MAUS hatte sie sich mit der Geschichte des Ortsteils Hastedt befaßt, wo sich der alte Lampe-Hof befand und sie wohnt. In der Zwischenzeit hatte sie dann neben aller sonstigen Arbeit hier die "Geschichte der Dörfer Hastedt und Schwachhausen" zum Abschluß gebracht, für die ihr der Senat, dem die Arbeit vorgelegt wurde, den Bremer Preis für Heimatforschung zuerkannte. Der Senator überreicht ihn ihr am 7. Dezember 1979 in einer Feierstunde in der Halle des Staatsarchivs. Die Laudatio hält der Vorsitzende der MAUS Dr. Thaden.

Das dritte besondere Ereignis ist der Deutsche Genealogentag, der gemäß Beschluß der Vorjahrestagung vom 6. bis 9. September 1985 in Bremen stattfindet, veranstaltet von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände, der unsere Gesellschaft schon seit der Gründung ihrer Vorläuferin angehört, und vorbereitet von der MAUS durch ihren Vorsitzenden. Mehr als 250 Teilnehmer finden sich ein. Mit Ausnahme der öffentlichen Festversammlung am Sonntag vormittag im Saal der Kunsthalle und der Sondertagung der Computer-Genealogen der Bundesbahn mit Vorführung ihrer Geräte im Saal des Überseemuseums findet die gesamte Tagung im "Hotel zur Post" am Bahnhofsplatz statt. 

Für die Festvorträge konnten Prof. Dr. Trüper und Prof. Dr. Schwarzwälder gewonnen werden, die beide interessante Themen gewählt hatten, ersterer "Ministerialität des Erzstiftes Bremen und Bremer Ratsgeschlechter", letzterer "Die Bremer Gesellschaft im Urteil von Reisenden vom 16. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts". Der den Genealogentag abschließende Ausflug führte nach Oldenburg und zum Museumsdorf Cloppenburg.

Anfang 1986 teilt die Wittheit zu Bremen, eine Gemeinschaft wissenschaftlicher Vereine, unserer Gesellschaft mit, daß sie sie als Mitglied aufgenommen habe, sicher eine Ehre und auch ein Ansporn für die MAUS , die sich gerade anschickt, anstelle der "genealogischen Abende" weitere Vortragsabende zu veranstalten. Auch will sie den alljährlichen Studienausflug reichhaltiger ausgestalten und über einen ganzen Tag erstrecken.

Als besonders erfolgreich erweist sich der zu dieser Zeit aufkommende Gedanke, einen Volkshochschullehrgang über Genealogie anzubieten. Schon der Andrang von Teilnehmern am ersten Abend zeigt, daß hier eine Lücke im allgemeinen Bildungsangebot besteht und damit eine Aufgabe für die MAUS von Dauer, der sie sich ihrer seitdem mit Nachdruck annimmt.

Leider muß sich nun Frau Lampe wegen zunehmender Sehschwäche je länger je mehr von ihrer Tätigkeit bei der MAUS zurückziehen wie ein Jahrzehnt später aus Altersgründen auch Dr. von Spreckelsen. Beide sind unterdessen gestorben, Frau Lampe 1996 und Dr. von Spreckelsen im Jahr darauf. Er hatte noch erlebt, daß der von ihm gesammelte und handschriftlich angemerkte "Verschollene Wortschatz aus Bremens Vorzeit" mit einem Vorwort von ihm in Buchform herausgegeben wurde.

Mit einer besonderen und besonders umfangreichen Aufgabe befaßt sich, dabei auf Helfer hoffend, Dr. Wolfgang Bonorden, der Erforschung und Veröffentlichung der Lebensgeschichten der im Dom und sonst in der Domgemeinde auf Epitaphien und Grabsteinen Verzeichneten, da es sich um Hunderte handelt, wohl eine Aufgabe für Generationen.

Wirklich ein Kapitel für sich und dazu ein überaus wichtiges und zukunftsträchtiges bildet die elektronische Datenverarbeitung auch und gerade in der Genealogie. Erstmals führten 1985 beim Genealogentag in Bremen mit Computern arbeitende Genealogen ihre Geräte vor, aber in den Vereinen befaßte man sich schon länger damit. Auch bei der MAUS bestand eine kleine Arbeitsgruppe und war im Oktober 1984 ein Vortragsabend diesem Thema gewidmet, und als 1988 einige Mitglieder der Gruppe an einem überörtlichen "GENprofi-Anwender-Treffen teilnehmen, ist man über die Anfänge bereits weit hinausgelangt. 1994 schafft die MAUS selbst einen ersten Personalcomputer an, 1997 einen zweiten, und seit 1996 steht ihr als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eine Arbeitskraft zur Verfügung, die die von Frau Lampes "Dienstags-Damen" auf Zetteln verzeichnete riesige Menge von Namensvorkommen in den Computer eingibt. Im Internet vertreten ist unsere Gesellschaft unterdessen auch und gehört dort sicherlich zu den innovativsten genealogischen Vereinen.

Und nun ist unsere MAUS , mit mehr als über 550 Mitgliedern, schon einer der großen genealogischen Vereine in Deutschland, 75 Jahre alt? - 75 Jahre jung ist sie und auf der Höhe der Zeit, und jung in diesem Sinne möge sie auch immer bleiben!