Über einst in Bremen amtlich erstellte Familienstammtafeln

Dr. Heinrich von Spreckelsen

Als zur Familienforschung nutzbare private Aufzeichnungen liegen schon seit Jahrhunderten auch solche vor, die ein Ehepaar gemeinsam mit einer oder mehreren Generationen seiner Äbkömmlinge auf einem Blatt übersichtlich zusammenstellen. Für diese Darstellungsart hat sich im Laufe der Zeiten schließlich die Bezeichnung 'Familienstammtafel' durchgesetzt. Eine derartige Tafel kann aus lediglich familiengeschichtlichem Interesse geschaffen sein, aber auch als Beweismittel für Rechtsansprüche aus dem dargestellten Verwandschaftsverhältnis. Wie zuverlässig die in ihr enthaltenen Angaben sind, hängt von der Sorgfalt und Findigkeit des Verfassers ab, also von Umständen, die spätere Benutzer oft kaum beurteilen können. Der Gedanke, deswegen Stammtafeln von einer amtlichen Behörde fertigen zu lassen, die über die gewünschten Angaben bereits verfügt, konnte in Deutschland nicht aufkommen, solange eine solche Behörde hier nirgends bestand. Seitdem aber, zunächst nur in einzelnen Gebieten und ab 1876 überall, Ämter zur Beurkundung des Personenstandes eingerichtet waren, ist der erwähnte Gedanke gleichwohl nirgends ernstlich verfolgt worden, außer in Bremen. Hier wurde er schon 1824 verwirklicht und bis 1933 beibehalten. Mancher Familienforscher wird von dieser bremischen Besonderheit noch nichts gehört haben, aber wohl gerne einiges davon erfahren, zumal sie ihm vielleicht für seine eigenen Ziele nützlich werden kann. Deshalb wird hier darüber berichtet werden, nachdem vorweg ihr geschichtlicher Hintergrund beleuchtet ist.

Als zur Zeit Napoleons weite Gebiete Deutschlands, auch Bremen, dem damaligen französischen Kaiserreich einverleibt waren, wurden dort bekanntlich alsbald viele französische Rechtsvorschriften eingeführt, darunter auch Bestimmungen über den so genannten Civilstand der Bewohner und die zu dessen Beurkundung zuständigen Behörden. Nach Befreiung von der verhasst gewordenen mehrjährigen Fremdherrschaft haben fast alle betroffenen deutschen Regierungen solche Vorschriften und Behörden wieder beseitigt. Indessen blieben ebenso wie in einzelnen Gebieten Westdeutschlands die Civilstandsämter mit der Aufgabe, Geburten, Heiraten und Sterbefälle zu registrieren, auch in Bremen weiter tätig. Hier regierte wie ehedem seit 1814 wieder der Senat. Er betraute mit der Leitung dieser Tätigkeit eines seiner Mitglieder, das in solcher Eigenschaft als 'senatorischer Beamter des Civilstandes' bezeichnet wurde.

Auf diese Weise hat der 1818 gewählte Senator Dr. jur. Heinrich Lampe (1773-1825) neben anderen Senatsämtern im November 1821 die 'Direction des Civilstandsbureaux' in Bremen übernommen, das bis 1875 gewöhnlich 'Civilstandsamt' hieß. Lampe war als Angehöriger eines Geschlechtes, das einige Ahnenlinien bis ins mittelalterliche Bremen zurückverfolgen kann, an Familiengeschichte interessiert und auch an der Verwaltung mehrerer Familienstiftungen beteiligt. Er wußte daher den Wert verlässlicher Familienstammtafeln zu schätzen. Im Herbst 1823 schlug Lampe dem Bremer Senat vor, das Civilstandsamt sollte künftig neben der Registrierung von Standesfällen auch Familienstammtafeln aufstellen und diese bei jedem neu registriertem Standesfall zu ergänzen. Nach Prüfung durch eine Kommission hat der Senat daraufhin die Aufgaben des Civilstandsamtes vom Beginn des Jahres 1824 an, gemäß dem Vorschlag erweitert, zunächst als halbjährigen Versuch, danach endgültig. Dabei hatte er mehrere Ziele zugleich im Sinn:

Durch amtliches Zusammenstellen wichtiger Personendaten aus den Standesregistern sollte den Angehörigen jeder Familie ein zuverlässiges Mittel geboten werden, in familien- und erbrechtlichen Verfahren zu beweisen, wer gegenwärtig zu seiner Familie gehört und auch der Finanzbehörde erleichtert werden, die Schuldner der Nachlassteuer zu erfassen. Dabei sollte das Civilstandsamt auch klären, welche ähnlich klingenden, aber in den Standesregistern verschieden geschriebenen Familiennamen dieselbe Familie bezeichnen. Auch in Bremen ergab sich damals nämlich oft Unsicherheit daraus, dass mangels festgelegter Schreibregeln oder wegen unartikulierter Namensangabe bei Anzeige von Standesfällen ein Betroffener mit unterschiedlicher Schreibweise seines Namens in die Standesregister eingetragen war. Die zu schaffenden Stammtafeln sollten es außerdem heiratswilligen Frauen künftig erschweren, bei einer Heirat das Vorhandensein von unehelichen oder von unversorgten Kindern aus früherer Ehe wirksam zu verschweigen. Darüber hinaus wollte der Senat durch Vermerke in den Stammtafeln über zuerkannte Bürgerrechte deren Bestehen leichter ersichtlich machen, wodurch zugleich ortsfremden Eheleuten ohne Bürgerrecht erschwert werden sollte, nach der Heirat unentdeckt in der Stadt wohnhaft zu bleiben, ohne ein Bürgerrecht zu erwerben.

Auf Grund des erwähnten Senatsbeschlusses, der im Laufe der Jahrzehnte mehrmals umgestaltet worden ist, hat das Bremer Civilstandsamt von 1824 bis 1875 8473 Stammtafeln erstellt. Die Tafeln sind in der Zeitfolge ihrer Entstehung durchnumeriert in 14 Folianten eingebunden, mit einem chronologischem Gesamt-Namensregister versehen und werden seit einigen Jahren im Staatsarchiv Bremen verwahrt. An die Stelle des Civilstandsamtes ist 1876 das stadtbremische Standesamt getreten, später Standesamt Bremen-Mitte genannt. Es hat bis 1933 weitere 7655 Stammtafeln geschaffen, die weiterlaufend nummeriert in zahlreiche Folianten gebunden und mit einem zweiten Generalregister versehen noch dort verwahrt werden. Das Standesamt hatte bis dahin auch die Aufgabe, Stammtafeln aus der Zeit des Civilstandsamtes auf Antrag eines Beteiligten für ihn auszufertigen und dabei neu eingetretene Standesfälle darin nachzutragen.

Insgesamt sind somit 16128 durchlaufend nummerierte amtliche Stammtafeln vorhanden. Von allen diesen sind fotomechanisch kleine Wiedergaben (Microfiches) hergestellt, die an Sichtgeräten gelesen werden können. Ein vollalphabetisches Gesamtnamensregister für sämtliche Tafeln wird vorbereitet. Beiläufig sei erwähnt, dass seit 1872 auch für Familien in Vegesack, in Bremerhaven und im damaligen Bremer Landgebiet gleichartige Stammtafeln angelegt wurden, von denen ein Teil schon für Standesfälle aus der Zeit seit 1861 erstellt wurde. Im Folgenden werden diese Tafeln jedoch nicht mitbehandelt.

In der ganzen Zeit von 1824 bis 1933 wurden die Stammtafeln und deren Ausfertigungen für Antragsteller auf Vordrucke im Format von etwa 38 x 24 cm geschrieben. Nacheinander waren vier verschiedene Vordrucke im Gebrauch, die bei der folgenden Beschreibung mit A, B, C und D gekennzeichnet werden. Sie unterscheiden sich zwar in ihrer räumlichen Einteilung und in Einzelheiten ihres gedruckten Wortlauts. Gemeinsam ist ihnen allen jedoch, dass sie Raum für folgende Angaben vorsehen:

  • Nummer der Tafel
  • Name des Ehemannes und seinen Berufsstand
  • Name seines Vaters mit Berufsstand und Wohnort
  • Name der Mutter
  • Name der Ehefrau
  • Namen ihrer Eltern mit Angaben beim Vater wie beim Vater des Mannes
  • Namen der gemeinsamen Kinder der Eheleute

ferner neben jeder Namenszeile in gesonderten Spalten Jahr, Monat und Tag der Geburt, der Heirat und des Todes, sowie Band, Seite und Nummer der entsprechenden Einträge im Geburts-, Heirats- oder Sterberegister.

Die Stammtafeln selbst wurden in der Anfangszeit vornehmlich von Amtswegen aufgestellt, im übrigen, wie seit 1878 stets auf Grund privater Anträge. Ihre Form und ihr Gehalt weisen in aufeinander folgenden Zeitabschnitten erhebliche Unterschiede auf. Um diese klar zu erfassen, werden die Tafeln im Folgenden in einzelnen Zeitperioden betrachtet. Welche Jahre diese Abschnitte begrenzen, kann man aus dem Wortlaut der Tafeln erst ab deren Nummer 8238 erkennen. Indessen ergeben die Nummernfolge, die jeweils verwendeten Vordrucke sowie einzelne Archivalien (Staatsarchiv Bremen 2-D.20.c.2.b. und c., 2?D.20.c.9.) über die Tätigkeit des Civilstandsamtes einige Anhaltspunkte auch für die Zeiträume der früheren Perioden. Bei den Archivalien liegt auch ein 1952 von einem Standesbeamten verfasster Aufsatz, der unter dem Titel 'Die bremischen Stammtafeln' aus nicht bezeichneten anderen Quellen. Weiteres über die Stammtafeln berichtet. Form und Inhalt der Tafeln sind jedoch weder darin noch anderswo bisher beschrieben.

Die Stammtafeln Nr. 1 bis Nr. 5372 sind in den Jahren 1824 bis etwa 1833 entstanden. Für sie wurde der Vordruck A verwendet. Dieser gibt neben den bereits erwähnten auch für folgende Angaben Raum:

  • Lebensalter des Mannes und der Frau
  • Wohnung des Mannes
  • städtisches Bürgerrecht des Mannes und der Frau, mit Vermerk, ob es auch die Handlungsfreiheit (d.h. das Recht, ein Handelsgeschäft zu betreiben) gewährt
  • in früheren Ehen des Mannes gezeugte Kinder
  • vom Manne legitimierte Kinder
  • vor der Ehe mit dem Manne geborene Kinder der Frau
  • Daten von Beschlüssen der Pupillencommission (d.h. der Vormundschaftsbehörde)

Als Überschrift ist lediglich 'Tabula Nr. ' vorgedruckt. Das Civilstandsamt wird dabei nicht erwähnt, auch ist kein Platz für eine Datierung der Tafel oder für einen Vermerk über deren Ausfertigung für einen Antragsteller vorgesehen. Die Folianten, in welche sie eingebunden sind, tragen lediglich den Rückenaufdruck 'Stammtafeln' mit Angabe der darin enthaltenen Nummern, haben jedoch kein Titelblatt zur Bezeichnung ihres Inhalts. In der hier zunächst besprochenen Periode wurde die weit überwiegende Anzahl der Tafeln von Amtswegen erstellt, und zwar in folgender Weise:

Nachdem ein Standesfall in eines der Standesregister eingetragen war, legte ein Civilstandsschreiber für die betroffene Familie eine Stammtafel an, indem er in den erwähnten Vordruck an den dafür vorgesehenen Stellen dasjenige übertrug, was jener Eintrag im Standesregister besagte. Ein Eintrag in das Heiratsregister enthielt über das Ehepaar mehr Einzelangaben, als ein solcher in das Geburts- oder das Sterberegister bei der Geburt eines Kindes dieses Paares oder beim Tod eines der Kinder oder der Eheleute. Demgemäß war die Zahl der Vordruckstellen, die bei Anlegung einer Stammtafel ausgefüllt wurde unterschiedlich, aber stets ziemlich gering. Erst wenn in der Familie wieder ein Standesfall eintrat waren zur Übertragung des dadurch veranlassten Registereintrages in die Tafel weitere Stellen des Vordrucks zu beschriften.

Da also anfangs für jeden neuen Registereintrag eine Tafel zu erstellen war, musste der damit befaßte Schreiber sich stets beeilen, um mit dem ständigen Zugang Schritt zu halten. Das ist ihm in den ersten beiden Jahren durch Leistung von Überstunden und Sonntagsarbeit nahezu gelungen. Im ersten Halbjahr 1824 hat er auf diese Weise z.B. bereits 1080 Tafeln angelegt, eine erstaunliche Leistung, die allerdings manche Mängel an Genauigkeit gehabt hat.

Nach dem frühen Tode des um die Stammtafeln besonders bemühten Senators Dr. Lampe ( + 7.8.1825 ) hat das Civilstandsamt diesen Teil seiner vielfältigen Aufgaben nicht mehr wie bisher bewältigen können. Am Ende des etwa zehnjährigen ersten Zeitabschnittes lagen deshalb erst 5372 Tafeln vor, obwohl allein wegen neu eingetragener Standesfälle jährlich weit mehr als 2000 Tafeln hätten hinzukommen müssen. Dass die Zahl der Tafeln damals so weit hinter der erforderlichen zurückgeblieben ist, muss man vermutlich damit erklären, dass Anträge auf Schaffung von Stammtafeln auch für Familien zugelassen und vorweg bearbeitet wurden, für die solche von Amtswegen noch gar nicht aufgestellt waren. Diese Verfahrensweise läßt sich nämlich zuerst schon 1824 und später ständig zunehmend an den Nummern derjenigen Tafeln erkennen, die Personendaten aus der Zeit vor 1824, sogar aus der Zeit lange vor 1811 enthalten, als das Civilstandsamt noch gar nicht bestand.

Zum Verfahren des Civilstandsamtes bei Anträgen auf Fertigung einer Stammtafel ist folgendes zu bemerken: Vorschriften darüber sind nicht überliefert. Vermutlich musste ein Antragsteller darlegen, dass er für ein behördliches Verfahren eine Stammtafel benötige, und von ihm angegebene Personendaten urkundlich nachweisen, wenn sie aus den Standesregistern nicht bereits ersichtlich waren. Inwieweit das Amt auch urkundlich nicht belegte Angaben des Antragstellers in die anzulegende Tafel übernehmen durfte, war vielleicht seinem Ermessen überlassen. Die vorliegenden Tafeln enthalten nämlich auch manche schwer beweisbare Angaben aus weit zurückliegenden Zeiten, von denen nicht alle durch Vermerke über ihre Quelle belegt sind.

Ein Beispiel dafür gibt bereits die etwa im Februar 1824 angelegte Tafel Nr. 53. Sie enthält neben später nachgetragen schon 20 Daten aus dem Zeitraum von 1750 bis 1823, davon 11 aus der Zeit vor Einrichtung der Zivilstandregister (1811). Besonders eine Nachprüfung dieser 11 Daten muss dem Amt viel Arbeit gemacht haben. Eines der 11 Daten ist ein Todestag aus 1807, für den ein urkundlicher Beweis kaum erbracht sein kann, da in Bremen damals Todesfälle und Bestattungen in den Kirchenbüchern zumeist nicht vermerkt wurden. Die Kirchenrechnungsbücher ergeben lediglich Einiges über Bestattungen von meist nur ungenau benannten Personen mit Daten, die nicht erkennen lassen, ob der Tag der Bestattung oder der Tag der Kostenzahlung gemeint ist.

Dieses Beispiel und auch manches andere, wie etwa die wenige Wochen später angelegte Tafel Nr. 105 mit 11 Daten aus dem Zeitraum von 1746 bis 1800, legen die Annahme nahe, dass das Civilstandsamt in dieser ersten Periode aus Gefälligkeit auch urkundlich nicht belegte Angaben gewisser Antragsteller in seine Tafeln übernommen hat. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass z.B. in der erwähnten Tafel Nr. 105 einige der ursprünglich vermerkten Daten aus früherer Zeit offensichtlich später wieder durchstrichen sind, anscheinend deshalb, weil dann erkannt wurde, dass diese Daten bei Anlegung der Tafel gar nicht nachgewiesen worden waren.

Ob, wann und in welcher Form eine Stammtafel für einen Antragsteller ausgefertigt ist, kann man aus der Urschrift regelmäßig nicht ablesen. Indessen lassen ungewöhnlich inhaltsreiche Tafeln mit Daten aus der Zeit vor 1824 vermuten, dass von ihnen auch eine Ausfertigung erteilt worden ist. Nur einige etwa 1831 angelegte Tafeln, z.B. Nr. 4258, enthalten zugleich sogar den Entwurf einer Beglaubigungsformel für die Ausfertigung; der Entwurf gibt weder den Antragsteller noch ein Beglaubigungsdatum an, ist unbeholfen formuliert, mit Schreibfehlern behaftet und kaum leserlich.

Gleichartige Mängel treten auch in Urschriften der Stammtafeln des Civilstandsamtes nicht selten auf. Man findet dort flüchtige Schriftzüge, willkürlichen Wechsel vom deutschen und lateinischen Schriftzeichen, undeutliche Ziffern, mehrdeutige Abkürzungen und sogar Schreibfehler, die nicht oder missverständlich berichtigt sind. Einzelne Urschriften sind so mangelhaft, dass sie wie unfertige Entwürfe aussehen. Die Mehrzahl der Stammtafeln ist jedoch in allen Angaben eindeutig lesbar.

Die Stammtafeln Nr. 5373 bis Nr. 8473 sind in der Zeit von etwa 1834 bis 13. Februar 1873 angelegt worden. In den ersten Jahren dieses zweiten Zeitabschnittes verwendete das Civilstandsamt bis zur Tafel Nr. 5849 weiterhin den Vordruck A, strich jedoch meistens daraus diejenigen Vorgedruckten Worte heraus, die vorstehend als Besonderheiten diese Vordrucks hervorgehoben sind. Für die Tafeln Nr. 5850 bis Nr. 8473 wurde dann etwa von 1842 ab ein neuer Vordruck B verwendet. Dieser enthält die erwähnten Worte nicht mehr zu denen übrigens schon in der ersten Periode selten eine Angabe vermerkt worden war; im Übrigen gleicht der Vordruck B dem Vordruck A.

Die Streichungen im Vordruck A und die entsprechende Kürzung der Vordrucks B sind offenbar durch eine Instruktion von 1833 für die Civilstandsschreiber veranlasst. Von deren Inhalt wird in Akten lediglich erwähnt, Angaben über das Lebensalter der Eheleute sollten unterbleiben, weil sie Irrtümer hervorrufen könnten, und in Zukunft sollten bei Anlegung von Stammtafeln auch Einträge aus den Standesregistern der Jahre vor 1824 vermerkt werden, was die Schreiber bis dahin anscheinend nicht immer beachtet hatten.

In dieser zweiten Periode sind anscheinend nur selten noch von Amtswegen Tafeln angelegt worden; die auf private Anträge erstellten Tafeln mit meist reicherem Inhalt scheinen sie allmählich verdrängt zu haben. Das ergibt sich auch daraus, dass in den etwa 39 Jahren des zweiten Zeitabschnittes nur 3101 Tafeln angelegt wurden, also im Durchschnitt jährlich 79.

Das Verfahren des Civilstandsamtes beim Anlegen und Ausfertigen der Tafeln blieb in der zweiten Periode ungefähr so wie in der ersten. Zu bemerken ist indessen eine erhöhte Sorgfalt der Schreiber; sie zeigt sich besonders in vermehrten Nachweisen von Fundstellen für vermerkte Daten.

Die Stammtafeln Nr. 8474 bis Nr. 9199 sind in der Zeit von Februar 1873 bis Anfang 1876 aufgestellt. In diesem dritten Zeitabschnitt wurde für die Tafeln der Vordruck C verwendet. Er enthält denselben Vorgedruckten Wortlaut wie der Vordruck B in geänderter räumlicher Einteilung des Blattes, wodurch den Angaben zu dem Elternpaar der erforderliche breitere Raum gewährt wird.

In einer neuen Instruktion vom 21.2.1872 wurde zwar vorgesehen, dass für alle nach dem 1.1.1871 geschlossenen Heiraten wiederum von Amtswegen Stammtafeln angelegt werden sollten und das dies sobald wie möglich für seit 1861 geschlossenen Ehen nachgeholt werden sollte. Diese Anordnung, die erst am 6.8.1878 ausdrücklich aufgehoben worden ist, scheint aber nicht in Kraft gesetzt worden zu sein. Als sie erlassen wurde, waren die schlechten Erfahrungen aus der ersten Periode der amtlich aufgestellten Tafeln anscheinend bereits vergessen. Jedenfalls zeigen die Tafeln, dass die Instruktion nicht berücksichtigt wurde. In den drei Jahren der dritten Periode sind nämlich nur 726 Tafeln aufgestellt, also jährlich im Durchschnitt 242. Diese Zahl müsste viel höher sein, wenn die Instruktion ausgeführt wäre. Man kann somit annehmen, dass im dritten und letzten Zeitabschnitt der Tätigkeit des Civilstandsamtes der Anteil des auf Antrag erstellten Tafeln nicht geringer gewesen ist, als vorher.

Die Tafeln sind durchweg sorgfältig gefertigt und leicht lesbar. In der ersten Hälfte des Zeitraums enthalten sie einen datierten Vermerk darüber, wann sie ausgefertigt sind. Ob dabei eine Ausfertigung an Antragssteller gemeint ist oder lediglich die Aufstellung der Tafel, ist aber ungewiss. Andere Besonderheiten im Verfahren des Civilstandsamtes gegenüber den früheren Perioden treten nicht auf.

Die Auflösung des Civilstandsamtes und die Gründung des Standesamtes hat mehrjährige Verhandlungen auch darüber veranlasst, ob weiterhin amtliche Stammtafeln errichtet werden sollten. Solange diese Verhandlungen schwebten, unterblieb die Arbeit an solchen Tafeln.

Die Stammtafeln Nr. 9200 bis Nr. 16128 sind erst in der Zeit vom 8.11.1878 bis 22.4.1933 vom Standesamt Bremen aufgestellt worden. In diesem vierten und letzen Zeitabschnitt wurde der Vordruck D verwendet. Er enthält dieselben Positionen wie die Vordrucke B und C und ist wiederum räumlich umgestaltet worden. Außerdem weist er folgende Neuerungen auf:

  • die Überschrift 'Stammtafel' mit Raum für die Bezeichnung des Oberhauptes derjenigen Familie, die in der Tafel zu beschreiben ist, mit Namen und Wohnort
  • die Angabe, dass in der Tafel die auf diese Familie bezüglichen Nachrichten aus den Registern und Sammelakten des Standesamtes Bremen zusammengestellt sind, soweit sie in denselben auf Grund der vorhandenen Namensverzeichnisse bis zum Tage der Aufstellung dieser Tafel haben aufgefunden werden können oder laut beigefügter Bemerkung anderweitig nachgewiesen sind
  • die Angabe, dass als Kinder aus der Ehe diejenigen aufgeführt werden, die in die hiesigen Register eingetragen werden oder durch vorgelegte Urkunden nachgewiesen sind

Erst durch diese Neuerungen im Vordruck haben die Stammtafeln die Gestalt bekommen, die heute für öffentliche Urkunden erforderlich ist. Jede Tafel wurde nunmehr vom Standesbeamten unter Angabe des Ortes und des Tages der Aufstellung unterzeichnet.

Eine Instruktion vom 6.8.1878 enthält in sieben Paragraphen genaue Anweisungen, wie das Standesamt die Stammtafeln aufzustellen und auszufertigen hatte. Dabei wurde nunmehr ausdrücklich bestimmt, dass die Aufstellung der Stammtafel einen darauf gerichteten Antrag voraussetzt, dass der Antragsteller ein Verzeichnis der ihm bekannten Standesfälle vorzulegen hat, das vom Standesamt nachgeprüft und ergänzt wird, und dass nur solche Tatsachen einzutragen sind, die vollkommen beglaubigt sind.

Die in den 55 Jahren der vierten Periode angelegten 7655 Stammtafeln gehen demnach ausnahmslos auf Anträge zurück. Die Zahl der Anträge hat sich im Verlauf der Periode ständig verringert. Der Rückgang ist wahrscheinlich dadurch verursacht, dass nach preußischem Vorbild seit 1877 auch in Bremen bei Trauungen auf Wunsch Familienstammbücher vom Standesamt ausgegeben wurden. Diese enthalten zusammengebundene Einzelvordrucke für beglaubigte Einträge jedes Standesfalles, der in der Familie vorkommen kann. Wenn der Inhaber regelmäßig nach Eintritt eines Standesfalles das Familienstammbuch dem Standesamt zur Ergänzung vorgelegt hat, besitzt er eine Urkundensammlung, deren Inhalt gleichwertig einer amtlichen Stammtafel ist. Je mehr der Gebrauch von Familienstammbüchern, die übrigens in Bremen zeitweise mit dem irreführenden Titelaufdruck 'Stammtafel' ausgegeben worden sind, allmählich sich durchsetzte und vor Gericht als geeignetes Beweismittel erwies, desto weniger verblieben Anlässe dafür, die Ausfertigung einer amtlichen Stammtafel zu beantragen. So wird es erklärlich, dass solche Anträge in den letzten Jahren des vierten Zeitabschnittes nur noch selten vorgekommen sind. Daraufhin hat Bremen amtliche Stammtafeln im Jahre 1933 für die Zukunft abgeschafft.

Die vorstehende Schilderung ergibt, dass die verschiedenen Ziele, die der Bremer Senat mit amtlichen Stammtafeln erreichen wollte, zum größeren Teile verfehlt worden sind. Ohne dies im einzelnen zu erörtern, soll hier zum Abschluss lediglich beschrieben werden, welchen Wert die Tafeln für die Familienforschung haben. Die von Amtswegen geschaffenen Tafeln, die zumeist später nicht fortgeschrieben worden sind und daher nur wenige Daten enthalten, ohne die spätere Entwicklung der Familie darzustellen, bieten dem Forscher zwar eine bessere Grundlage als die Standesregister, die diese Daten ebenfalls enthalten, aber selbst nicht miteinander verknüpfen. Bei Benutzung dieser Tafeln muss man jedoch beachten, dass sie kein Datum über die Errichtung angeben, also nur durch ihre Nummerierung anzeigen, auf welche ungefähre Zeit sich die Darstellung der Familie bezieht. Da es sich dabei fast stets um die Anfangswerte der Familie handelt, haben diese Tafeln zumeist für die Forschung nur mäßigen Wert.

Die auf Antrag erstellten Tafeln ergeben demgegenüber regelmäßig durch Vermerke des Todestages mindestens eines der Elternteile, dass alle Mitglieder der Familie abschließend erfaßt sind, also weitere nicht mehr hinzukommen konnten. Bei diesen Tafeln können lediglich in der Auflistung der Kinder und in den Vermerken über Heiraten und Sterbefälle Lücken vorkommen, die durch außerhalb Bremens eingetretene Standesfälle verursacht sind.

Alle Angaben für die in den Tafeln die Registerfundstelle vermerkt ist, können als verlässlich angesehen werden, denn solche Vermerke zeigen, dass die Angaben amtlich geprüft worden sind. Insoweit sind die amtlichen Stammtafeln den lediglich privat zusammengestellten in ihrem Wert für die Forschung deutlich überlegen. Wie erwähnt, sind indessen aus den ersten beiden Zeitabschnitten Stammtafeln vorhanden, die nur einen Teil ihrer Angaben mit Registerfundstellen belegen. Da für den nicht belegten Teil unklar bleibt, ob das Amt die Angaben des Antragstellers auf Grund von vorgelegten Urkunden oder lediglich gutgläubig in die Tafel übernommen hat, kann ihm insoweit nicht mehr Zuverlässigkeit beigemessen werden als einer privat erstellten Tafel. Gleichwohl sind auch solche nicht belegten Angaben von Wert, weil sie anderweitig oft nicht mehr zu finden sind. Insgesamt verglichen bieten die von Amtswegen geschaffenen Tafeln weit weniger Personendaten als die auf Antrag erstellten. Von diesen sind die in den letzten Zeitabschnitten entstandenen wesentlich genauer als die Tafeln der ersten beiden Perioden, die indessen mehr sonst verborgene Daten aus dem 18. Jahrhundert anführen.

Für die Familienforschung in Bremen ist es von großem Vorteil, dass die geschilderten Stammtafeln als amtliches Schriftgut verwahrt wurden und dadurch in ihrem ungewöhnlich reichen Bestand erhalten geblieben sind. Dies umfangreiche Sammelwerk schließt zeitlich an eine große private Stammtafelsammlung an. Dabei handelt es sich um das so genannte 'Goldene Buch' von Christian Abraham Heineken, über das in der Norddeutschen Familienkunde, Band 13, 1985, S. 343 - 346 und Band 14, 1988, S. 274 - 275 berichtet worden ist. Außer diesem gibt es in Bremen noch ungemein viele andere private Stammtafeln. Zahlreiche von ihnen sind in Veröffentlichungen der Verwalter von Familienstiftungen gesammelt, die dabei auch Angaben aus nichtkirchlichen Quellen geschöpft haben. Der Nachteil, dass Bremer Kirchenbücher in mancher Hinsicht weniger ergeben als die meisten aus anderen Gebieten, findet also einen gewissen Ausgleich durch die Fülle vorhandener Stammtafeln.